15.08.2021

Boettcher: "Respekt und die Werte unter uns Menschen gehen zusehends verloren"

Der Filmemacher Marc Boettcher hat uns vor der Premiere seines Dokumentarfilms BELINA - MUSIC FOR PEACE ein Interview zur Verfügung gestellt, in dem er uns seine Faszination für die „musikalische Diplomatin“ beschreibt, von einer Begegnung mit der großen Weltmusikerin berichtet und die Bedeutung seines Films in Bezug auf den aufkommenden Antisemitismus einordnet.

Marc, was war der Auslöser, sich mit der Künstlerin Belina zu befassen?
Schon als Kind hab ich Lieder wie „Tumbalalaika“ und „Wenn ich einmal reich wär“ aus dem Musical „Anatevka“ gehört, ohne zu wissen. Und dann bei den Recherchen zur deutschen Sängerin Alexandra bin ich auf Belina gestoßen und hab sie für mich und jetzt für alle wiederentdeckt. Und als ich von ihrem persönlichen Schicksal und ihren Verdiensten als „musikalische Diplomatin“ erfuhr, musste ich sie einfach mit diesem Film und der CD würdigen.

Du hast Belina kurz vor ihrem Tod in Hamburg noch kennengelernt. Welchen Eindruck hat sie auf Dich gemacht?
Das war im Sommer 2006. Ich hatte lange nach ihr gesucht, weil sie unter ihrem Namen „Lea-Nina Rodzynek“ unbekannt war. Als wir uns kennenlernten, stand eine zierliche Grand Dame vor mir, die zuerst ein wenig zurückhaltend und vorsichtig war, mit der ich dann aber offen über meine Filmpläne sprechen konnte. Und sie fand Vertrauen. Leider starb sie wenige Wochen später nach einer schweren Operation.

Was unterscheidet diese Arbeit von Deinen bisherigen Dokumentationen über die Dänin Gitte Haenning, die deutsche Chanson-Legende Alexandra oder Europas beste Jazzsängerin Inge Brandenburg?
Vielleicht beginne ich über ihre Gemeinsamkeit zu antworten. Alle drei waren und sind starke Frauen, die ihren eigenen Weg zum Erfolg gingen, ohne sich zu verbiegen und ohne sich der Männer dominierten Musikwelt unterzuordnen. Und alle drei haben das gewisse Etwas und lassen sich nicht einfach so in Schubläden pressen. Und so ein Leben reizt mich, zu ergründen und dem Vergessen zu entreißen.

Wie lange hast Du mit Deinem Team an diesem Film gearbeitet? Welches Material stand Euch zur Verfügung?
Nach Belinas Tod versuchte ich für einen Film über jüdische Sängerinnen in Deutschland im Nachkriegsdeutschland Fernsehredaktionen, Filmförderer und Plattenfirmen zu gewinnen. Jedes Mal wurde mir aber mitgeteilt, der Film sei nicht kommerziell genug, würde keine Quoten erzielen, er sei für die Zuschauerinnen zu politisch oder nicht Deutsch genug. Ich wurde so gefragt: "Was fällt einem Goy, einem Ungläubigen, ein, sich diesem Thema zu widmen? bzw. "Jüdische Künstlerinnen im Nachkriegsdeutschland - was ist mit unseren christlichen Künstlerinnen?“ Doch ich stand auch weiterhin hinter diesem Herzensprojekt und recherchierte fast 15 Jahre, sammelte aus Archiven Aufnahmen und Interviews, um das Bild dieser geheimnisvollen Künstlerin zusammenzusetzen. Bei einem Crowdfunding-Aufruf 2019 kamen mehr als 30.000 Euro von Menschen unterschiedlicher Couleur und Religion zusammen. Das gesamte Filmteam, das mit mir seit 20 Jahren zusammenarbeitet, stellte seine Gagen zurück, damit dieser Dokumentarfilm vorerst ohne Ko-Partnerinnen bzw. redaktionelle Einflussnahme realisiert werden konnte.

Was war für dich die wichtigste Erkenntnis in Bezug auf die Sängerin Belina? Welches vielleicht die überraschendste?
Ich war in unzähligen Archiven im In- und Ausland, bei den Verwandten in Paris und Hamburg sowie bei der Witwe von Siegfried Behrend und in der Akademie der Künste, wo der musikalische Nachlass des weltberühmten Gitarristen und Belinas Partner zu finden ist. Ich trug unzählige Schallplatten von Belina aus aller Welt, wie Kanada, Spanien und Japan, zusammen, aber auch Briefe, Fotos, Programme, Plakate. Und da kommt allerhand etwas zusammen, denn Belina war in mehr als 120 Ländern. So kann ich wohl behaupten, dass ich heute über das größte Belina-Archiv verfüge. Die wohl wichtigste Erkenntnis war, wie schnell eine solche Ausnahmekünstlerin in Vergessenheit gerät. Dabei war Belinas Engagement, Völker und Kulturen untereinander zu Toleranz und Aussöhnung aufzurufen und zu verzeihen, einzigartig. Sie sang in mindestens 17 Sprachen, in jedem Land ein Lied des Landes, um ihren Respekt gegenüber ihren Gastgebern zum Ausdruck zu bringen. Für Belina zählten nicht hohe Gagen und der Ruhm, denn oft spendierte die Lufthansa die Flüge und die Dependancen des Goethe-Instituts in den einzelnen Ländern stellten Kost und Logie, ansonsten gab es meist nur die Anerkennung des Publikums. Und ganz besonders interessierte es mich, wieso eine polnische Jüdin, die ihre Familie durch den Holocaust verloren hatte, Deutschland als Friedensbotschafterin nach dem Krieg in aller Welt repräsentierte und in Deutschland - dem Land der Täter - 2006 ihre letzte Ruhe fand.

Worin siehst Du die Bedeutung der Dokumentation in Zeiten stärker aufkommenden Antisemitismus‘, der andererseits in Deutschland ja nie verschwunden war?
Belina wollte damals schon der Jugend das Urjiddische näherbringen und in diesem Jahr feiern wir „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Ein ehrwürdiges Datum in diesen stürmischen Zeiten mit rechtsextremen Anschlägen in Halle und Hanau. Doch auch andere spaltende Themen und Ansichten wie Flüchtlingskrise, Bürgerkrieg und Rassismus waren mit der Anlass, warum ich diesen Film gemacht habe. Er ist mein persönliches Statement zur gegenwärtigen Weltsituation. Die politischen Errungenschaften, der Respekt und die Werte unter uns Menschen gehen zusehends verloren. Daher ist es wichtig zu erinnern. Musik kann Brücken schlagen, denn ein nordkoreanisches Wiegenlied geht genauso zu Herzen wie ein amerikanisches Lullaby. Jeder hat eine Mutter, und es ist Schicksal, wo und mit welcher Religion und Kultur wir geboren werden. Wir Menschen sind eine einzige große Familie. Daher ist es wichtig, wie Belina es uns schon vorlebte, aufeinander zuzugehen und ins Gespräch zu kommen, um Verständnis und Toleranz für einander zu finden.

Seid Ihr da nicht erstaunt, dass sich bei manchen TV-Anstalten das Interesse in Grenzen hält?
Wir können nicht verstehen, wieso Medien und Journalisten, aber auch namhaften Stiftungen und Institute unsere Anfragen auf eine Kooperation oder auch bloß für eine Berichterstattung absagen oder ohne eine Antwort ganz einfach ignorieren. Denn der Film trifft den Nerv der Zeit. Er ist vielleicht etwas unbequem und keine leichte Kost. Es sollte doch nicht immer schnelllebiges Mainstream gewünscht sein, sondern auch Zeit- und Kulturgeschichte mit aktuellem Bezug und Anspruch.

BELINA - MUSIC FOR PEACE beim JFBB am...
17.08.2021 um 21 Uhr im Berliner Sommerkino Kulturforum (OPEN AIR)
18.08.2021 um 22 Uhr im Potsdamer Waschhaus (OPEN AIR)
20.08.2021 um 17 Uhr im Potsdamer Thalia - Das Programmkino
20.08.2021 um 20 Uhr im Berliner City‐Kino Wedding