Als die ehemalige Lehrerin die Teilnehmer:innen des Klassentreffens aufruft, berichten einige, dass sie jetzt in Israel, Schweden, Frankreich oder den USA leben. So unterschiedlich ihre Lebensläufe sind, so sehr ähneln sich die Berichte über ihre Ausreise. Obwohl sie in Polen fest verwurzelt waren und dort Arbeit und Familie hatten, wuchsen die Zweifel: Sollten sie bleiben oder doch besser auswandern?
Als stummer, hinter der Kamera verborgener Beobachter, verfolgt Łoziński, wie sich die Debatten seiner ehemaligen Klassenkamerad:innen zunehmend darum drehen, ob man sich eher mit Polen oder mit dem Judentum identifiziert. Viele fühlen sich nach wie vor eher der polnischen Kultur zugehörig. Sie haben den Eindruck, dass sie erst in Zuschreibungen von außen zu Jüdinnen und Juden gemacht wurden. Ihre subjektive Identifikation ist hingegen längst nicht so eindeutig – auch 20 Jahre nach der Emigration.
Das Klassentreffen, das Łoziński hier portraitiert, fand kurz nach dem Fall des Sozialismus statt. Die antisemitischen Kampagnen der Regierung Gomułka waren noch nicht aufgearbeitet. Vor diesem Hintergrund wird der Dokumentarfilm selbst zu einem Dokument, wie damals Identitätsdiskurse zwischen Jüdinnen/Juden und Nichtjüdinnen/-juden geführt wurden – für viele erstmalig.
Text: Rainer Mende