1990 gehört Lettland noch zur Sowjetunion, gerade noch. Die Reformen der Regierung Gorbatschow geben in aller Welt Anlass für Optimismus. Tchelet reist im Mai 1990 nach Riga und trifft auf Jüdinnen und Juden, die zwar Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben, aber nicht viel Vertrauen in diese. Er filmt in Synagogen, Schulen und auf der Straße, in Wohnzimmern und Gemeindezentren. Portraitiert einen jüdischen Alltag, der auf dem Weg ist, ein Teil gesellschaftlicher Normalität zu werden. Scheinbar. Denn die Traumata der Vergangenheit, die Erfahrungen der Shoa und des Antisemitismus während des Sozialismus sitzen tief. Das Zusammenwirken von „antizionistischer“ Propaganda in der Politik und tradierter Judenfeindschaft in der Gesellschaft, die Vernachlässigung jeglicher Erinnerungsarbeit in der UdSSR, die Angst davor, offen zu sagen, dass man Jüdin:Jude ist, haben sich tief ins jüdische Bewusstsein eingegraben. Die Befragten erzählen, dass es jetzt im Baltikum immerhin besser sei, als in Russland. Eine Bestandsaufnahme aus dem Umbruchsjahr 1990, noch vor der großen Ausreisewelle von Jüdinnen und Juden in Richtung Westen.
Vorfilm: RESENTMENT (Gleb Osatinski, US, LT 2024, 30 min)