Im Gefolge seiner Reisen nach Israel und seiner gescheiterten Bemühungen um eine Nebenklagevertretung im Jerusalemer Eichmann-Prozess, bot der umtriebige Jurist und Publizist Friedrich Karl Kaul der DEFA ein Filmexposé an, das unmittelbar an den Prozess anknüpfte. In Jerusalem waren u.a. die Deportationen der ungarischen Jüdinnen und Juden zur Sprache gekommen und die Frage, ob sie hätten gerettet werden können. In einem Nebeneinander von Detailgenauigkeit und manipulativer Verfälschung erzählt LEBENDE WARE, wie Eichmann die Deportationen vorbereitet, während Himmlers Sonderbeauftragter, SS-Obersturmbannführer Becher, ungarisch-jüdisches Eigentum beschlagnahmt. Unter den begehrten Objekten befindet sich der größte Rüstungskonzern Ungarns, die Manfréd-Weiss-Werke. Die jüdischen Inhaberfamilien überhändigen Becher die ‚Treuhandschaft‘ und dürfen im Gegenzug ausreisen. Der von Eichmann installierte ‚Judenrat‘ sieht in diesem ‚Freikauf‘ eine Chance: Kasztner plädiert vehement für solche „Geschäfte“ und übernimmt die Verhandlungen mit den Deutschen. Becher ergreift sofort die Gelegenheit, sich zu bereichern. Doch auch Kasztner agiert nicht uneigennützig. Der reale Becher, der später ungebrochen in der Bundesrepublik Karriere in der Wirtschaft machte, war der perfekte Bösewicht für einen ostdeutschen Spielfilm. Aber welches Ziel verfolgte die Produktion mit der Darstellung Kasztners als zwielichtigem Kollaborateur auf Kosten der jüdischen Bevölkerung? In den Augen der Filmemacher nahm der Zionist Kasztner und seine „Geschäfte“ mit dem Nazi Becher die „Achse Bonn-Tel Aviv“ vorweg. Kasztner, dem 1955 ein israelisches Gericht vorwarf, „seine Seele dem Satan“ verkauft zu haben, war für Kaul hier Projektionsfigur für eine Auseinandersetzung mit dem Zionismus und Israel.
Text: Lisa Schoß
Im Anschluss an beide Filmvorführungen findet ein Gespräch mit Dr. Lisa Schoß statt, Kutlurwissenschaftlerin und Beraterin für die Reihe "Bruch oder Kontinuität?"
Filmstill (c) DEFA Stiftung, Dieter Jaeger